Deutschland, deine Diener
Verfasst: 31. Jan 2006, 08:02
Deutschland, deine Diener
Längere Arbeitszeiten, Bezahlung nach Leistung und Karrierechancen wie in der Wirtschaft: Auch die Beamten müssen umdenken. Eine Inspektion in Amtsstuben, Schulklassen und Gerichtssälen.
Die Sache hat nur einen Haken. „Es gibt da ein Imageproblem“, sagt Marc Clausen. „Man kann in der Disco keine Frau beeindrucken.“ Der 22-Jährige besucht die Fachhochschule für Allgemeine Verwaltung, gerade hat er ein Praktikum beim Bezirksamt Hamburg-Mitte absolviert. Sein Berufsziel? „Ich will Beamter werden.“
Beamter? Die packen doch morgens als Erstes die Frühstücksstulle aus und putzen dann den ganzen Tag die Blätter ihrer Zimmerpflanzen. Ärmelschoner, Aktenstaub, Dienst nach Vorschrift. Die allseits drohende Arbeitslosigkeit kann ihnen nichts anhaben, Sozialabgaben zahlen sie sowieso nicht. All das weckt Neid und mündet in die Frage: Machen sich die Beamten einen lauen Lenz auf unser aller Kosten?
Und: Brauchen wir sie überhaupt?
Nein, sagt der Hamburger Staatsrechtler Hans Peter Bull. Jedenfalls nicht in hergebrachter Form. Im Auftrag von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Peer Steinbrück hat Bull eine Kommission geleitet, deren Gutachten die Beamten-Funktionäre bundesweit empörte. Dennoch versucht jetzt eine Arbeitsgruppe in der Düsseldorfer Staatskanzlei, die Ergebnisse umzusetzen. Das Ziel: Irgendwann soll es im öffentlichen Dienst möglichst nur noch normale Arbeitsverträge geben, die auch eine Kündigung erlauben.
Der Beamte würde zum Auslaufmodell.
Auch in Berlin steht die Zukunft der Staatsdiener bereits auf der Tagesordnung. In der Föderalismus-Kommission wird der Bund den Ländern wohl mehr Freiheit geben im Umgang mit Beamten. Gleichzeitig ringt Innenminister Otto Schily mit dem Beamtenbund und der Gewerkschaft ver.di um neue Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst. Er wünscht eine leistungsbezogene Bezahlung und will die Altersversorgung von Wirtschaft und Staatsdienst kompatibel machen, damit die Mitarbeiter wechseln können. Die strengen Laufbahn-Vorschriften sollen fallen.
Bei alledem ist klar: Der öffentliche Dienst soll moderner werden. Für die Beamten stehen viele Änderungen an.
Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland sind Beamte. Sie bilden eine Gruppe, die auf Vorurteile stößt – und doch keineswegs homogen ist. Einfacher, mittlerer, gehobener, höherer Dienst: Die verschiedenen Laufbahnen sind gegeneinander abgeschottet und entsprechen höchst unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Einen Gerichtsdiener trennen Welten vom hoch dotierten Ministerialdirigenten.
Als Justizwachtmeister verdient Ramazan Bas „echt weniger als in der freien Wirtschaft“. Nämlich 1750 Euro, minus 150 Euro für die private Krankenkasse, macht 1600 netto für die vierköpfige Familie. Die Wohnung jenseits der Elbe, in Hamburgs bescheidenem Stadtteil Wilhelmsburg, kostet 500 Euro Miete, in Urlaub war Bas vier Jahre nicht mehr. Soeben hat er, nach langer Suche, ein Auto gekauft – für 100 Euro. „Wir schränken uns ein, so weit es geht“, sagt der 30-Jährige. „Aber ich habe einfach tierisch viele Kosten, mein Jüngster trägt noch Pampers.“
Im starren Besoldungssystem der Beamten wird Ramazan Bas nach A4 bezahlt. Weil er mehr verdienen möchte und ehrgeizig ist, bewarb sich der türkischstämmige Justizwachtmeister um eine Führungsposition. Wachtmeisterkoordinator, A6, „das ist das Höchste, was ich im einfachen Dienst erreichen kann“.
Den Job hat er gekriegt, die Gehaltserhöhung kommt verzögert. Erst nächstes Jahr erreicht er A5, 2006 dann A6. Auch so spart der Staat.
Wie in der Wirtschaft fallen bei den Behörden immer mehr schlichte Aufgaben weg. Dem einfachen Dienst, der Hauptschülern vorbehalten ist, gehören heute nur 2,85 Prozent der Beamten an; allein bei der Justiz ist er noch verbreitet. Ramazan Bas schiebt zentnerschwere Aktenwagen, auf denen sich Prozessunterlagen türmen. Er steht bereit, wenn ein Angeklagter verrückt spielt und der Richter den Alarmknopf drückt. Und er holt die Beweismittel ab, die dezentral lagern – mal eine scharfe Waffe in der Plastiktüte, mal einen Koffer voll Kokain. Damit fährt Bas dann quer durch die Stadt. „Früher hatten wir Dienstwagen, jetzt sind wir mit der UBahn unterwegs“, sagt er. „Nur gut, dass keiner weiß, was wir im Koffer haben.“
Das Geld ist knapp bei der Behörde. Und nicht nur bei den Dienstwagen, auch beim Personal wird gespart.
„Wir sind am Rotieren wie die Wilden“, sagt Bas. „Wenn jemand geht, wird heute die Stelle nicht mehr besetzt.“ Stimmt, sagt Gerd Tiedemann vom Deutschen Beamtenbund: Zwischen 1994 und 2001 seien in Hamburgs öffentlichem Dienst 7000 Arbeitsplätze gestrichen worden – also jeder zehnte. Seither gebe es die Wiederbesetzungssperre, der Umgang mit Ausnahmegenehmigungen sei „denkbar restriktiv“. Auch bundesweit ist die Mitarbeiterzahl im öffentlichen Dienst drastisch gesunken – seit 1990 um 1,1, Millionen, heißt es beim Beamtenbund. Allerdings ist von den heute vier Millionen Staatsbediensteten nur eine Minderheit verbeamtet – ein knappes Drittel. Die allermeisten sind Angestellte oder Arbeiter.
Die Beamten, so will es das Grundgesetz, werden von ihrem Dienstherrn nach „hergebrachten Grundsätzen“ versorgt, im Gegenzug versprechen sie Verlässlichkeit und eher konservativen Geist. Und dennoch wurden sie – wider Willen – zum Wegbereiter eines Trends. Weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld? Bei den Beamten längst Realität. Die Rückkehr zur 40-, gar zur 42-Stunden-Woche, ohne dass es für mehr Arbeit mehr Geld gibt? Was jetzt in der Wirtschaft droht, ist bei den Beamten schon Wirklichkeit. Die öffentliche Hand muss sparen. Und wenn die Beamten länger arbeiten, dann braucht man weniger Leute für die gleiche Stundenzahl. Man kann also Stellen streichen und so die Kosten dämpfen. (Die Zeit)
Längere Arbeitszeiten, Bezahlung nach Leistung und Karrierechancen wie in der Wirtschaft: Auch die Beamten müssen umdenken. Eine Inspektion in Amtsstuben, Schulklassen und Gerichtssälen.
Die Sache hat nur einen Haken. „Es gibt da ein Imageproblem“, sagt Marc Clausen. „Man kann in der Disco keine Frau beeindrucken.“ Der 22-Jährige besucht die Fachhochschule für Allgemeine Verwaltung, gerade hat er ein Praktikum beim Bezirksamt Hamburg-Mitte absolviert. Sein Berufsziel? „Ich will Beamter werden.“
Beamter? Die packen doch morgens als Erstes die Frühstücksstulle aus und putzen dann den ganzen Tag die Blätter ihrer Zimmerpflanzen. Ärmelschoner, Aktenstaub, Dienst nach Vorschrift. Die allseits drohende Arbeitslosigkeit kann ihnen nichts anhaben, Sozialabgaben zahlen sie sowieso nicht. All das weckt Neid und mündet in die Frage: Machen sich die Beamten einen lauen Lenz auf unser aller Kosten?
Und: Brauchen wir sie überhaupt?
Nein, sagt der Hamburger Staatsrechtler Hans Peter Bull. Jedenfalls nicht in hergebrachter Form. Im Auftrag von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Peer Steinbrück hat Bull eine Kommission geleitet, deren Gutachten die Beamten-Funktionäre bundesweit empörte. Dennoch versucht jetzt eine Arbeitsgruppe in der Düsseldorfer Staatskanzlei, die Ergebnisse umzusetzen. Das Ziel: Irgendwann soll es im öffentlichen Dienst möglichst nur noch normale Arbeitsverträge geben, die auch eine Kündigung erlauben.
Der Beamte würde zum Auslaufmodell.
Auch in Berlin steht die Zukunft der Staatsdiener bereits auf der Tagesordnung. In der Föderalismus-Kommission wird der Bund den Ländern wohl mehr Freiheit geben im Umgang mit Beamten. Gleichzeitig ringt Innenminister Otto Schily mit dem Beamtenbund und der Gewerkschaft ver.di um neue Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst. Er wünscht eine leistungsbezogene Bezahlung und will die Altersversorgung von Wirtschaft und Staatsdienst kompatibel machen, damit die Mitarbeiter wechseln können. Die strengen Laufbahn-Vorschriften sollen fallen.
Bei alledem ist klar: Der öffentliche Dienst soll moderner werden. Für die Beamten stehen viele Änderungen an.
Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland sind Beamte. Sie bilden eine Gruppe, die auf Vorurteile stößt – und doch keineswegs homogen ist. Einfacher, mittlerer, gehobener, höherer Dienst: Die verschiedenen Laufbahnen sind gegeneinander abgeschottet und entsprechen höchst unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Einen Gerichtsdiener trennen Welten vom hoch dotierten Ministerialdirigenten.
Als Justizwachtmeister verdient Ramazan Bas „echt weniger als in der freien Wirtschaft“. Nämlich 1750 Euro, minus 150 Euro für die private Krankenkasse, macht 1600 netto für die vierköpfige Familie. Die Wohnung jenseits der Elbe, in Hamburgs bescheidenem Stadtteil Wilhelmsburg, kostet 500 Euro Miete, in Urlaub war Bas vier Jahre nicht mehr. Soeben hat er, nach langer Suche, ein Auto gekauft – für 100 Euro. „Wir schränken uns ein, so weit es geht“, sagt der 30-Jährige. „Aber ich habe einfach tierisch viele Kosten, mein Jüngster trägt noch Pampers.“
Im starren Besoldungssystem der Beamten wird Ramazan Bas nach A4 bezahlt. Weil er mehr verdienen möchte und ehrgeizig ist, bewarb sich der türkischstämmige Justizwachtmeister um eine Führungsposition. Wachtmeisterkoordinator, A6, „das ist das Höchste, was ich im einfachen Dienst erreichen kann“.
Den Job hat er gekriegt, die Gehaltserhöhung kommt verzögert. Erst nächstes Jahr erreicht er A5, 2006 dann A6. Auch so spart der Staat.
Wie in der Wirtschaft fallen bei den Behörden immer mehr schlichte Aufgaben weg. Dem einfachen Dienst, der Hauptschülern vorbehalten ist, gehören heute nur 2,85 Prozent der Beamten an; allein bei der Justiz ist er noch verbreitet. Ramazan Bas schiebt zentnerschwere Aktenwagen, auf denen sich Prozessunterlagen türmen. Er steht bereit, wenn ein Angeklagter verrückt spielt und der Richter den Alarmknopf drückt. Und er holt die Beweismittel ab, die dezentral lagern – mal eine scharfe Waffe in der Plastiktüte, mal einen Koffer voll Kokain. Damit fährt Bas dann quer durch die Stadt. „Früher hatten wir Dienstwagen, jetzt sind wir mit der UBahn unterwegs“, sagt er. „Nur gut, dass keiner weiß, was wir im Koffer haben.“
Das Geld ist knapp bei der Behörde. Und nicht nur bei den Dienstwagen, auch beim Personal wird gespart.
„Wir sind am Rotieren wie die Wilden“, sagt Bas. „Wenn jemand geht, wird heute die Stelle nicht mehr besetzt.“ Stimmt, sagt Gerd Tiedemann vom Deutschen Beamtenbund: Zwischen 1994 und 2001 seien in Hamburgs öffentlichem Dienst 7000 Arbeitsplätze gestrichen worden – also jeder zehnte. Seither gebe es die Wiederbesetzungssperre, der Umgang mit Ausnahmegenehmigungen sei „denkbar restriktiv“. Auch bundesweit ist die Mitarbeiterzahl im öffentlichen Dienst drastisch gesunken – seit 1990 um 1,1, Millionen, heißt es beim Beamtenbund. Allerdings ist von den heute vier Millionen Staatsbediensteten nur eine Minderheit verbeamtet – ein knappes Drittel. Die allermeisten sind Angestellte oder Arbeiter.
Die Beamten, so will es das Grundgesetz, werden von ihrem Dienstherrn nach „hergebrachten Grundsätzen“ versorgt, im Gegenzug versprechen sie Verlässlichkeit und eher konservativen Geist. Und dennoch wurden sie – wider Willen – zum Wegbereiter eines Trends. Weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld? Bei den Beamten längst Realität. Die Rückkehr zur 40-, gar zur 42-Stunden-Woche, ohne dass es für mehr Arbeit mehr Geld gibt? Was jetzt in der Wirtschaft droht, ist bei den Beamten schon Wirklichkeit. Die öffentliche Hand muss sparen. Und wenn die Beamten länger arbeiten, dann braucht man weniger Leute für die gleiche Stundenzahl. Man kann also Stellen streichen und so die Kosten dämpfen. (Die Zeit)